Bericht zum 4. Workshop des Netzwerk Terrorismusforschung (16.-17.01.2009, Leipzig)

Bericht des vierten Workshops

Der bereits vierte Workshop des Netzwerks Terrorismusforschung fand vom 16.-17. Januar 2009 in Leipzig statt. Knapp 30 NachwuchswissenschaftlerInnen hörten und diskutierten an zwei Tagen insgesamt 13 Vorträge. Räumlichkeiten wurden vom Institut für Philosophie der Universität Leipzig zur Verfügung gestellt und zum ersten Mal gab es auch eine finanzielle Förderung durch den Förderverein Sicherheitspolitik an Hochschulen e.V. Beiden Institutionen danken wir sehr herzlich für ihre Unterstützung.

Vorträge

Zur Eröffnung des vierten Workshops hielt Torsten Preuß (Universität Leipzig) einen Vortrag zum Thema Terrorismus und Innere Sicherheit, in dem er die Probleme des Begriffs „Sicherheit“ für die politisch Verantwortlichen im Kampf gegen den Terrorismus herausarbeitete. Ausgehend von dem Dilemma, dass Sicherheit nicht objektiv zu bestimmen ist, Politik aber andererseits versuchen muss, ein Höchstmaß an Sicherheit für die eigene Bevölkerung zu gewährleisten, formulierte er einen Vorschlag für eine Veränderung der Sicherheits-Konzepte im Umgang mit Bedrohungen und Gefahren durch Terrorismus.

Der Ökonom Carsten Mueller (Leipzig) stellte eine Berechnungsmatrix vor, anhand derer sich die Wahrscheinlichkeit von terroristischen Aktivitäten innerhalb eines Landes skizzieren lassen könnte. Auf Grundlage von sozialen, geographischen und ökonomischen Daten werden Faktoren berechnet, die ihrerseits in einer Matrix in Form einer terroristischen balanced scorecard abgebildet werden können. Der Forschungsansatz ist interdisziplinär und könnte auch als Ansatz für die Erfolgsmessung von politischen und gesellschaftlichen Aktivitäten dienen.

Bei der Vorstellung seines Dissertationsvorhabens über den Linksterrorismus in Japan versuchte Till Knaudt (Ruhr-Universität Bochum) unter dem Titel Personell- und ideengeschichtliche Entwicklung des „anti-imperialistischen Terrorismus“ in Japan im historischen Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland zunächst die historische Entwicklung der Revolte der Neuen Linken in Japan zu erläutern. Nachdem er auf die historischen Gemeinsamkeiten und Unterschiede der japanischen studentischen Protestbewegung (hohe Mobilisierungsstärke, ausgeprägte Gewaltformen und frühe faktionelle Zersplitterung) im Vergleich zur BRD hingewiesen hatte, versuchte er auf einen frühen ideengeschichtlichen „Konnex“ zwischen den Studentenbewegungen in Europa, Nordamerika und Japan hinzuweisen: den Anti-Imperialismus der Neuen Linken. Diese Entwicklung habe die Entwicklung von bewaffneten Untergrundgruppen in den drei Weltregionen gefördert, wobei sich die japanische und bundesrepublikanische Linke besonders auf den Palästinensisch-Israelischen Konflikt bezogen hätten. Dieser Bezug legte dann auch die Grundlagen für den „internationalen Linksterrorismus“ in den 1970er Jahren. Diese personelle und ideengeschichtliche Entwicklung möchte Knaudt in seinem Dissertationsprojekt eingehender beleuchten, vor allem in starkem Kontrast zu psychologistischen Erklärungsmodellen, wie z.B. der „postfaschistischen Achse“ Berlin-Rom-Tokyo.

Matthias Dahlke (Humboldt-Universität Berlin) stellte als Teilergebnis seines Dissertationsprojekts die Grundlinien österreichischer Terrorismusbekämpfung der 1970er Jahre vor. Anhand der staatlichen Reaktionen auf die Anschläge von Marchegg 1973 und auf die OPEC-Ölministerkonferenz 1975 argumentierte er, dass die Antiterrorismuspolitik von Bundeskanzler Bruno Kreisky nicht, wie oft behauptet, sprunghaft und vorbehaltlos nachgiebig war, sondern durchaus den Linien einer strategischen, außenpolitisch dominierten Antiterrorismuspolitik folgte. Befestigt wurde diese These durch die Vorstellung eines protokollierten Geheimtreffens von 1977, das langfristige Vereinbarungen zwischen der österreichischen und westdeutschen Bundesregierung mit palästinensischen Terroristen belege. In der über die österreichische Thematik hinausgehende Diskussion wurde deutlich, dass viele westeuropäische Länder in den 1970er Jahren eigene, an national tradierten Umgangsformen mit politischer Gewalt ausgerichtete Ansätze zur Terrorismusbekämpfung entwickelten, die bis heute fortwirken.

In ihrem Vortrag Framing Terrorism in German and Egyptian Print Media untersuchte Hanan Badr (Universität Erfurt) aus vergleichender Perspektive die Darstellungsmechanismen von Untergrundterrorismus und Staatsterrorismus im Rahmen des Israelisch-Palästinensischen Konflikts anhand der Medienberichterstattung von auserwählten Ereignissen in je fünf deutschen und ägyptischen Zeitungen. Die empirischen Ergebnisse wiesen, so Badr, auf einen deutlichen Framing- und Counter-Framing Mechanismus hin, durch den der terroristische Akt entweder legitimiert oder delegitimiert wird. Dabei spielen die Rahmenbedingungen des Mediensystems, insbesondere auf der Mesoebene, eine deutliche Rolle beim Framing von Terrorismus.

Die diskursive Produktion von Ideologien über Moslems als Terroristen stand in der Präsentation Heute Minarette…Morgen? Constructing Islamic Terrorism in Media von Alfonso Del Percio (Universität Bern) im Fokus der Ausführungen. Auf der Basis des Schweizer Minarett-Initiative-Diskurses schlug der Autor eine kritische Diskursanalyse der Postings diverser sozialer Akteure in zwei Internetforen („Facebook“ und „Dailytalk“) vor. Anhand der präsentierten Daten konnte gezeigt werden, dass im Kontext der globalen wirtschaftlichen Unsicherheit, in der eine zunehmende Produktion von diskriminierenden Diskursen und Ideologien über Moslems beobachtet wird, der Moslem in der Minarett-Initiative-Debatte als Terrorist konstruiert wird, um seine Identität abzuwerten. Internet-Foren scheinen somit moderne diskursive Räume zu sein, in denen soziale Akteure in der Interaktion der Gesellschaft eine neue Bedeutung geben, d.h. sie diskursiv neu kategorisieren und somit zur Legitimierung bestehender und neuer Ideologien über Moslems beitragen.

Unter dem Titel Von Black Sunday bis Body of Lies beschäftigte sich der Beitrag von Thomas Riegler (Wien) mit der Darstellung von Terrorismus im Hollywood-Kino – von den Anfängen in den 1970er Jahren bis heute. Es wurde die These vertreten, dass Vorstellung und Stellenwert von „Terrorismus“ in der Öffentlichkeit ohne den Einfluss des Kinos als dominierendes Unterhaltungsmedium unserer Zeit nicht zu verstehen ist. Es waren und sind, so Riegler, vor allem Filme, die massenkulturell „geprägt“ haben, was Terrorismus „ist“, wer als „Terrorist“ zu gelten habe und welche Maßnahmen sich zur Bekämpfung eignen.

Jan Henschen (Uni Erfurt) stellte sein Dissertationsprojekt mit dem Titel Die RAF-Erzählung. Eine Spurensuche vor. Er untersucht vorrangig Texte, die die „Rote Arme Fraktion“ erzählen und schreibt daraus resultierend eine Medien- und Textualitätsgeschichte der RAF. Unter dem Titel Stadtguerilla trifft Medientheorie und vice versa stellte er einen die RAF-Gründergeneration begleitenden Diskurs vor, der das Spannungsfeld „Medien und Terrorismus“ beinhaltete. Dessen Ausgang setzte der Referent bei Hans-Magnus Enzensbergers „Baukasten zu einer Theorie der Medien“ von 1970 und kontrastierte ihn mit Jean Baudrillards Zeitungsartikeln zu den Ereignissen des Herbstes 1977. Es schlossen sich Überlegungen an, wie die RAF als „Ereignis“, als Kommunikationsstrategie, als performatives Sprechen das „Mediale“ konstitutiv in sich trug und wie unterschiedliche Diskurse in diese Geschehnisse eingelagert waren und sind. Als Kernthese umkreiste der Vortragende den Verdacht, dass das Verhältnispaar „medial“/ „terroristisch“ selbst ein zu historisierendes Konstrukt sei.

Svea Bräunert (Humboldt-Universität zu Berlin) ging in ihrem Vortrag Terrorismus und Avantgarde. Die Rote Armee Fraktion und die mediale Entgrenzung der Künste der Frage nach, inwiefern sich die (Wieder-) Entdeckung der Avantgarde seit den 1960er-Jahren als Erinnerungsprojekt verstehen lässt. Um die Überschneidung von Kunst, Politik und Gewalt am Ort der westdeutschen Nachkriegsavantgarde zu veranschaulichen, zeichnete sie zunächst die Avantgarderhetorik in den frühen Schriften der RAF nach, um sich im Anschluss daran auf Klaus vom Bruchs frühe Videoarbeit „Das Schleyerband“ (1977/78) zu konzentrieren. Anhand eines close readings machte Bräunert deutlich, dass vom Bruchs Annäherung an die Ereignisse des Jahres 1977 Fernsehen und Video via Montage zusammenbringt, um so die avantgardistischen Qualitäten beider Medien auszuloten und die Television als jene Realität zu markieren, auf die sich die Neo-Avantgarde in Gesten der Wiederholung, Aneignung und Vergegenwärtigung des westdeutschen Terrorismus bezieht.

Sehr schnell nach dem 11. September 2001, so Jens Taken, wurde in vielen Ländern (z. B. in den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Deutschland) die Entwicklungszusammenarbeit als vielversprechendes Instrument im Kampf gegen den Terrorismus ins Spiel gebracht. Doch sind die Fürsprecher der Entwicklungspolitik, so ist zu fragen, hier nur auf einen fahrenden Zug aufgesprungen, um ihr durch eine neue Kompetenzzuschreibung einen Bedeutungszuwachs zu schaffen, oder kann hier tatsächlich ein effektiver und nachhaltiger Beitrag zum Kampf gegen den Terrorismus geleistet werden? Und verfügen die westlichen Staaten über genügend entwicklungspolitische Ressourcen, um sich an der großen Aufgabe der Terrorismusprävention zu beteiligen? Die Kompetenzen sowie Kapazitäten der Entwicklungspolitik sollten, so der Autor, nüchtern und realistisch eingeschätzt und in diesem Rahmen eingesetzt werden: Sonst ist weder der Idee der Entwicklungspolitik noch dem Ziel der Terrorismusprävention geholfen. So würde die sicherheitspolitische „Aufladung“ der Entwicklungspolitik zu einem weiteren Baustein ihrer permanenten Überforderung.

Dominique Grisard (Universität Basel) befasste sich in ihrem Vortrag ‘Sind wir gerüstet?’ Terrorismus und die schweizerische Sicherheitspolitik in den 1970er-Jahren mit diskursiven Strategien, die dazu beitrugen, Probleme und Konflikte als Terrorismus zu politisieren. Ausgehend von zwei Aushandlungsorten des Politischen in den 1970er-Jahren – bundesrätlichen Sicherheitsberichten und parlamentarischen Vorstöß?en – ging sie der Frage nach, wie der vorherrschende Geschlechterdiskurs Gesetzesänderungen und sicherheitspolitische Maßnahmen gegen den Terrorismus mitformte. Besondere Beachtung schenkte Grisard deshalb Narrativen des Schutzes, die zahlreiche der von ihr untersuchten parlamentarischen Gesetzesdebatten plausibilisierten und legitimierten.

Jens Wetzel (TU Chemnitz) setzte sich in seinem Vortrag überblicksweise mit dem Phänomen Terrorismus, dessen Ursachen und Hintergründen auseinander. Es galt zu klären, was Terroristen wollen und wie sie dies zu erreichen versuchen, wie sich terroristische Gruppen organisieren und finanzieren. Ausgangspunkt seiner Betrachtungen war die Tatsache, dass Wissenschaft und Politik in den vergangenen Jahrzehnten über einhundert Definitionen des Begriffes Terrorismus vorgelegt haben. Eine Einigung konnte bisher allerdings nur hinsichtlich verschiedener offensichtlicher Merkmale erreicht werden. Hierzu zählt ohne Zweifel die Anwendung oder Androhung von Gewalt, um gegen eine Regierung oder eine andere Gruppe im Sinne eines politischen oder religiösen Ziels vorzugehen. Alle weiteren Definitionsversuche wären, so Laqueur, zum Scheitern verurteilt, weil es zu viele verschiedene Arten und Formen des Terrorismus gäbe. Somit scheint die Frage „Was ist Terrorismus?“ gegenwärtig nicht eindeutig zu beantworten zu sein. Neben der deskriptiven Darstellung verschiedener Ergebnisse der sozialwissenschaftlichen Terrorismusforschung versuchte Jens erste analytische Schlussfolgerungen für die Bekämpfung des Phänomens „Terrorismus“ herauszuarbeiten.

Abschließend stellte Robert Pelzer (Universität Hamburg) sein Dissertationsprojekt zum Thema Strafrechtliche Terrorismusbekämpfung und ihre Gegenstände: Funktionsweise und Wirkungsbedingungen öffentlicher Etikettierungsprozesse des Terrorismus in Deutschland vor. Anhand von mehreren Fallstudien untersucht er die Rolle der Strafverfolgungsinstanzen in Interaktionsprozessen zwischen terroristisch Handelnden und ihrem gesellschaftlichen Umfeld. Aus einer etikettierungstheoretischen Perspektive geht es dabei einerseits um die Analyse der durch Strafverfolgungsbehörden angewandten, hervorgebrachten und kommunizierten Deutungsmuster der Taten, Ziele und Motive terroristisch Handelnder. Andererseits soll den Fragen nachgegangen werden, wie „Terroristen“, aber auch ihre sozialen Bezugsgruppen, auf den Etikettierungsprozess reagieren, inwiefern Zuschreibungen als politische und soziale Ressource genutzt werden und welche Rolle sie in Solidarisierungs- und Abgrenzungsprozessen gegenüber Gewalthandeln spielen. In seinem Vortrag diskutierte er u.a. auch das Problem, gängige kriminologische Theorieansätze zu Straf(rechts)wirkungen (z. B. Labeling-, „responsive regulation“- oder Rational Choice-Modelle), auf den Bereich Terrorismus zu übertragen.

Der nächste Workshop findet voraussichtlich am 26./27. Juni 2009 in Erfurt statt.