Bericht zum 3. Workshop des Netzwerk Terrorismusforschung (11.-12.07.2008, München)

Bericht des dritten Workshops

Auf dem dritten Workshop des Netzwerk Terrorismusforschung, der am 11./12. Juli am Münchner Geschwister-Scholl-Institut (GSI) stattfand, wurden verschiedene Forschungs- und Publikationsprojekte vorgestellt und angeregt diskutiert. Aus der Überzeugung heraus, das Phänomen des Terrorismus könne von Einzeldisziplinen nicht hinreichend erfasst werden, war das Programm erneut betont interdisziplinär gehalten und umfasste Referenten und Zuhörer aus der Ethnologie, der Geschichtswissenschaft, der Philosophie, der Politikwissenschaft, der Rechtswissenschaft sowie der Soziologie. Mit Teilnehmern aus der Praxis (Polizeidienst und Politik) beschränkte sich der Teilnehmerkreis erstmals nicht auf den reinen Wissenschaftsbetrieb.
Alle Teilnehmer bewerteten den Workshop als äußerst gewinnbringend. Dank für die Unterstützung gebührt dem Lehrstuhl für Internationale Politik des GSI.Ein weiterer Programmpunkt abseits der Forschungsprojekte beschäftigte sich mit der Zukunft des Netzwerks. Die wachsende Mitgliederzahl (derzeit umfasst das NTF rund 180 Mitglieder) hatte beim zweiten Workshop in Kassel die Frage aufgeworfen, ob die Umwandlung in einen Verein sinnvoll sei. Die Diskussion führte zu der Erkenntnis, dass dieser Schritt lediglich immensen Verwaltungsaufwand nach sich ziehen würde, ohne große Vorteile zu bringen. Weiterhin wurde beschlossen, einen Konferenzbericht in der Zeitschrift WeltTrends zu veröffentlichen. Der von Alexander Spencer und Jakob Biazza (beide LMU-München) verfasste Artikel erscheint entweder in Heft 6/08 oder 1/09.

Die Anwesenden sprachen sich außerdem dafür aus, den bisherigen Halbjahreszyklus der Workshops beizubehalten. Der nächste Workshop ist für Mitte Januar in Leipzig geplant.

Vorträge

Im ersten Vortrag mit dem Titel „Die Messung der Effektivität von counterterrorism Maßnahmen: Die Möglichkeiten kontrafaktischer Analyse“ stellte Franz Eder (Universität Innsbruck) sein Dissertationsprojekt vor. Ziel seiner Arbeit ist es, sich mit der Frage nach der Messbarkeit von counterterrorism Maßnahmen auseinanderzusetzen.Ausgehend von den policy-relevanten Fragen, welche Möglichkeiten die kontrafaktische Analyse als methodisches Instrument zur Messung der Effektivität von counterterrorism Maßnahmen bietet, wie sich dynamische Prozesse zwischen terroristischen Aktivitäten und counterterrorism Maßnahmen in einem theoretischen Konzept vereinen lassen und welche Auswirkungen ein auf kontrafaktischer Analyse basierender Ansatz zur Messung von Effektivität für die Umsetzung von counterterrorism Maßnahmen hätte, entwickelte er zwei Hypothesen, deren Wahrheitsgehalt noch überprüft werden sollen:
 
Hypothese 1: Mit Hilfe der kontrafaktischen Analyse ist es möglich, den Effekt (E1) einer counterterrorism Maßnahme (M1) zu messen, in dem man den Effekt (E2) beim Ausbleiben der Maßnahme M1 misst.
Hypothese 2: Mit Hilfe der kontrafaktischen Analyse ist es des Weiteren möglich, den Effekt (E2) einer alternativen, jedoch nicht implementierten Maßnahme (M2) zu messen, indem ein kontrafaktischer Fall konstruiert wird, der sich lediglich durch M2 unterscheidet. Damit wird das Aufzeigen alternativer Politiken zur Bekämpfung von Terrorismus möglich, was Auswirkungen auf counterterrorism Maßnahmen haben kann.

Unter dem Titel „Sterben für die Kamera. Zur kommunikativen Dimension des Selbstmordterrorismus“ beleuchtete Lorenz Graitl (Freie Universität Berlin) die Rolle von Medien bei der Inszenierung von politischer Gewalt. Terrorismus habe auch schon im 19. und 20. Jahrhundert darauf gezielt, eine möglichst große Öffentlichkeit zu erreichen, weshalb die Massenmedien häufig das eigentliche Ziel der Anschläge waren. Seit den achtziger Jahren sei ein Wandel festzustellen, in dessen Folge terroristische Gruppen nicht mehr auf die Berichterstattung von anderen angewiesen waren, sondern selbst zu Medienproduzenten wurden. Graitl illustrierte dies mit Fotografien und Filmaufnahmen von Selbstmordattentätern, die für die Veröffentlichung nach dem Tod angefertigt worden sind und vor allem durch das Fernsehen und Internet verbreitet werden. Abschließend behandelte der Referent die Frage, wer die Adressaten dieser „Propaganda der Tat“ seien und welche Funktion sie erfülle.

Unter dem Titel „Lucky Streak? Why the ‚long overdue’ act of nuclear terrorism fails to appear“ präsentierten Prof. Dr. Carlo Masala und Frank Sauer (Universität der Bundeswehr München) ihre Arbeit an einem aktuellen Publikations-Projekt. Ihr geplanter Artikel sucht zu ergründen, warum der seit langem befürchtete und von einigen Experten und Politikern bereits als „überfällig“ bezeichnete Terroranschlag mit einer „schmutzigen Bombe“ bisher ausblieb. Damit sollte von Seiten der Autoren nichts verharmlost oder gar behauptet werden, dass ein solcher Anschlag zukünftig nicht stattfinden könnte. Vielmehr verbinden die beiden Autoren mit ihren Überlegungen die Hoffnung auf ein präziseres Bild davon, wie, durch wen und warum ein Anschlag verübt werden könnte. Zwei in Fragen des Nuklearterrorismus parallel, jedoch weitgehend unverbunden laufende Debattenstränge – die technischen Hürden für einen erfolgreichen Anschlag mit einer schmutzigen oder sogar einer Spaltbombe, sowie die Motive der in Frage kommenden Attentäter – wurden zu diesem Zweck erstmals systematisch miteinander zu einem Argument verbunden.

Mathias Buhtz (Universität Magdeburg) begann seinen Vortrag mit dem Titel „Gerechter Terrorismus? Zur Kontingenz der Unterscheidung von legitimer und illegitimer Gewalt“ mit der Frage, was legitime und der illegitime Gewalt voneinander unterscheidet. Er stellte fest, dass hierfür oft das Kriterium ‚Töten Unschuldiger’ gebraucht wird. Dann verdeutlichte er, dass aber sowohl in einem Krieg als auch bei einem terroristischen Anschlag Unschuldige sterben, was ihn zu der These führte, dass dieses Kriterium für eine Unterscheidung nicht trägt. Im Anschluss skizzierte er einen konstruktivistischen Zugriff aus den Internationalen Beziehungen, in dem davon ausgegangen wird, dass solche Unterscheidungen als sprachliche Konstruktion aufzufassen sind, mittels derer zugleich auch Vorteile und Handlungschancen verteilt werden. Dies verdeutlichte er anhand des Begriffes Terrorismus. In der Diskussion ging es vor allem um die sprachphilosophischen Grundlagen des gewählten konstruktivistischen Zugriffs.

Bei der Vorstellung ihres Dissertationsvorhabens legte Sandra Köstler (IGSS Bielefeld) nahe, Angstkommunikation als semantische Form des Sprechens über terroristische Bedrohungen zu betrachten, die mit Intransparenzannahmen – mit einer als unberechenbar beobachteten Zukunft – korreliert. Angstkommunikationen, so ihre These, seien aus der Perspektive der soziologischen Systemtheorie ein erklärungsbedürftiges Phänomen, weil sie nicht lediglich als Ausdruck kursierender Terrorängste gesehen werden, sondern als eine von Beobachtungs- und Zurechnungsoperationen abhängige Variante des kommunikativen Umgangs mit Terrorismus. „Sicher ist nur die Angst. Die Semantik der Angst im kommunikativen Umgang mit Terrorismus“ lautet der Titel der Arbeit, in der sie zunächst der Frage nachgehen will, auf welche Weise strukturelle Bedingungen des Terrorkonflikts das Zurechnen auf Intransparenz begünstigen, und die Verwendung von Angstsemantik im öffentlichen Terrorismusdiskurs anschlussfähig machen. Daran anknüpfend will sie analysieren, wie Angst als ein semantischer Sinnkomplex in Anspruch genommen wird, und welche beobachterspezifischen Konstruktionen der terroristischen Bedrohung entstehen, wenn über den Terror in der Semantik der Angst gesprochen wird. In diesem Zusammenhang diskutierte sie zudem das Irritationspotential von Angstsemantik bezüglich des politischen Sicherheitsdiskurses.

Aus geschichtlicher Perspektive untersuchte Stephan Rindlisbacher (Universität Bern) den Prozess der Radikalisierung von Weiblichen Terroristen am Beispiel von Vera Figner, einem führenden Mitglied der Terrororganisation Narodnaja Volja in Russland am Ende des 19. Jahrhunderts. Ziel seines Dissertationsprojekts „Weibliche Wege in die Gewalt im vorrevolutionären Russland“ ist es, die Biographie von Vera Figner durch den Vergleich mit zwei anderen Revolutionärinnen besser zu differenzieren. Diese sind zum einen Vera Zasluli_, die mit ihrem Attentat auf den Generalgouverneur von Petersburg 1878 die Terrorwelle in Russland einleitete, zum anderen Aleksandra Kollontaj, eine überzeugte Bol’_evi_ka und Frauenrechtlerin.

Anne Schwenkenbecher
(Humboldt-Universität Berlin) stellte sich in ihrem Vortrag zur „Kombattanten-Nicht-Immunität“ die Frage, wie im Krieg die Nicht-Immunität von Kombattanten moralisch zu rechtfertigen sei, d.h., wie es sich begründen lässt, dass im Krieg eine Handlung (z.B. das Töten von Menschen) erlaubt sein kann, die im normalen Leben als moralisch verwerflich gilt. Ziel des Vortrages war es, herauszufinden, ob sich derartige Rechtfertigungsstrategien auf andere Formen kollektiver Gewalt wie Terrorismus übertragen lassen.

Alexander Spencer (Ludwig-Maximilians-Universität München) befasste sich in seinem Vortrag The Predicative Construction of ‘New Terrorism’ mit der diskursiven Konstruktion von Terrorismus. Insbesondere interessierte hier das kleine Prädikat ‚neu’. Der Vortrag illustrierte wie viele der ‚neuen’ Aspekte des ‚neuen Terrorismus’ wie zum Beispiel die exzessive Gewalt und neue Taktiken, die religiöse Motivation sowie die interne Organisation nicht wirklich neu sind. Darüber hinaus wurde angedeutet, welche möglichen Konsequenzen eine solche diskursive Konstruktion auf Anti-Terror Maßnahmen und die ‚Realität’ haben kann: Die prädikative Konstruktion von Terrorismus als ‚neu’ macht die Einführung von ‚neuen’ restriktiven Gegenmaßnahmen logisch, ohne dass diese vielleicht ‚wirklich’ notwendig sind.